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FĂŒr eine Handvoll Euro

    Betreuung von Menschen mit Behinderung

    Taz-Artikel vom 18.07.2012 von Jan Zier

    In Hamburg und Bremen kĂ€mpfen BetriebsrĂ€te der Assistenzgenossenschaft um einen Tarifvertrag fĂŒr ihre PflegekrĂ€fte. Und könnten am eigenen Arbeitsprinzip scheitern.

    In Frankfurt haben sie gerade einen bekommen, wenn auch erst nach einem Streik. In Bremen verhandeln sie momentan darum, die BetriebsrĂ€te und Gewerkschaftler. Und in Hamburg fordern die ihn ebenfalls – einen Tarifvertrag fĂŒr die Assistenzgenossenschaft (AG).

    280 MitarbeiterInnen hat jene in Bremen, zusammen unterstĂŒtzen sie, im Zweifelsfall rund um die Uhr, rund 60 Menschen mit Behinderungen. Nein, es muss nicht einfach „pflegen“ oder „betreuen“ heißen, denn genau das wollen sie hier nicht: den Menschen nur in eine passive Rolle drĂ€ngen. Die AG – und Bremen war hier einst Vorreiter – ist ein Kind der Behindertenbewegung der 70er-Jahre. Hier geht es um Emanzipation, um Selbstbestimmung, um Teilhabe.

    Deshalb arbeiten hier nicht nur examinierte, sondern angelernte KrĂ€fte. Die Behinderten, so die Idee, sind Fachleute in eigener Sache. Und wĂŒssten also selbst am besten, was gut fĂŒr sie sei, sagt Jörn Bracker, Betriebsratsvorsitzender der AG Bremen. Sie brĂ€uchten vor allem einen Ersatz fĂŒr Hand oder Fuß – „auch wenn die persönlichen Assistenten natĂŒrlich viel mehr darstellen“, so Bracker.

    DafĂŒr bekommen die PflegerInnen in Bremen 9,15 Euro die Stunde. Ist jemand sieben Jahre dabei, gibt es einen Euro mehr. In Hamburg gibt es bislang zehn Euro. In Frankfurt aber sollen es, dank des zum Juli in Kraft getretenen an den Öffentlichen Dienst angelehnten Tarifvertrages (TVÖD) zwischen 11,50 Euro und 14,79 Euro werden nach einer Übergangszeit.

    Das ist auch das Verhandlungsziel der Bremer AG, doch die GeschÀftsleitung hat der Gewerkschaft Ver.di bisher nur einen Einstiegslohn von knapp zehn Euro angeboten.

    „Wir sind seit knapp 20 Jahren von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt“, sagt Bracker. Allein inflationsbedingt arbeite man heute fĂŒr weniger als drei Viertel des Lohnes von 1995.

    „Wir wollen eine tarifliche Lösung und finden es richtig, dass unsere MitarbeiterInnen mehr verdienen“, sagt Solveig Eisert, geschĂ€ftsfĂŒhrender Vorstand der Assistenzgenossenschaft Bremen. Das sei auch notwendig, um PflegekrĂ€fte zu finden. Da habe die AG schon jetzt „extreme Probleme“. PflegekrĂ€fte wĂŒrden ĂŒberall gesucht, sagt Eisert, „aber bei uns schlĂ€gt sich das am deutlichsten nieder“.

    Das Problem: Die AG bekommt ihr Geld von den so genannten KostentrĂ€gern – der Bremer Sozialbehörde und den Pflegekassen. „Wir können es uns nicht leisten, den Bestand der Assistenzgenossenschaft zu gefĂ€hrden, wenn die KostentrĂ€ger nicht mitziehen“, sagt Eisert. „Unsere Lohnhöhe“, sagt Bracker, „ist abhĂ€ngig von einem politischen Willen.“

    In Bremen ist das der von Rot-GrĂŒn. Und die Koalition hat die bessere Bezahlung von PflegekrĂ€ften in ihrem Koalitionsvertrag stehen. Der grĂŒne Staatsrat Horst Frehe, einst GrĂŒnder einer KrĂŒppelgruppe und Aktivist der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, ist MitbegrĂŒnder der AG Bremen. Es sei nicht hinnehmbar, wenn die persönlichen AssistentInnen von der allgemeinen Lohnentwicklung abgehĂ€ngt wĂŒrden, sagt Frehe. Der Tarifvertrag aber sei eine Sache der Tarifparteien.

    Es laufen jedoch GesprĂ€che mit der AG zur Frage der Refinanzierung. Offenbar ist die Behörde bislang aber nicht bereit, mehr als den „ortsĂŒblichen“ Satz zu bezahlen.

    Andere in Bremen zahlen ihren MitarbeiterInnen aber noch weniger als die AG. Die Behörde will unter UmstĂ€nden nur fĂŒr einen Teil der Mehrkosten aufkommen, die ein Tarifvertrag nach sich zöge. Hinzu kommt, dass die Entgeltstufe 5 des TVÖD, wie ihn Gewerkschaft und Betriebsrat nach Frankfurter Vorbild fordern, nur fĂŒr Menschen mit einer dreijĂ€hrigen Ausbildung vorgesehen ist.

    Wer bei der AG arbeitet, ist aber, so oder so, als Hilfspfleger angestellt. Manche sagen deshalb, die Festlegung auf Laien sei der Geburtsfehler der Assistenzgenossenschaften gewesen.

    „Wir sind immer noch der Meinung, dass dieses das richtige Modell ist“, sagt Eisert. Und das wolle man jetzt auch nicht auf den Kopf stellen. NatĂŒrlich hĂ€tten viele MitarbeiterInnen hohe Qualifikationen. Nur kĂ€men die eben bei dieser TĂ€tigkeit finanziell nicht zum Tragen.

    Am 23. Juli wird in Bremen weiter verhandelt. In Hamburg hat die AG-GeschĂ€ftsleitung sich zunĂ€chst geweigert, Tarifverhandlungen fĂŒr die rund 200 MitarbeiterInnen aufzunehmen – wegen der unklaren Refinanzierung. Nun setzt man sich auch dort an den Verhandlungstisch.